Wir sind zu schlau für ein neues Fukushima

Foto: torstengrieger
Gedanken von Landesvorstandsmitglied Sebastian Götte zur „friedlichen Nutzung der Kernenergie“

Die Entdeckung der Kernspaltung und der damit frei werdenden Energien war eine wissenschaftliche Meisterleistung, die zu Recht mit dem Chemie-Nobelpreis für Otto Hahn gewürdigt wurde. Für Generationen von Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen war sie – in einer Kultur der Möglichkeiten, wie sie im 20. Jahrhundert vorherrschte – spektakulärer Tummelplatz und Verheißung auf „saubere“ Energiegewinnung. Die Hybris der potenziellen Zerstörungsmacht war dabei von Anfang an sichtbar, bestand doch die erste Anwendung der Kernspaltung in der Atombombe. Weniger als 100 Jahre, diverse Beinahe-GAUs und zwei Super-GAUs später sind die Zweifel an der Beherrschbarkeit der Kernspaltung für die Energiegewinnung kaum noch zu überhören. In Tschernobyl erwies sich menschliches Versagen als fatal, in Fukushima eine Verkettung von Naturereignissen. Beides kann immer wieder passieren, beides kann also auch immer wieder zu solchen Katastrophen führen. Wir Menschen müssen einsehen, dass wir diese Kraft nicht unter Kontrolle haben.

Deshalb ist es auch kein Scheitern, wenn wir in Deutschland jetzt sagen, dass wir aus dieser Technologie aussteigen. Es ist vielmehr kluges menschliches Handeln: Wenn wir beobachten, dass ein Weg in eine falsche Richtung führt, dann verlassen wir ihn. Und genau der Forscher*innengeist, der uns die Kernspaltung entdecken ließ, hat in den letzten Jahrzehnten zu besseren Alternativen geführt. Die erneuerbare Energiegewinnung ist den Kinderschuhen entwachsen. Wo sie konsequent eingesetzt wird, erzeugt sie mittlerweile mehr Energie als ihre fossilen Eltern und Großeltern. Sie ist jetzt die wahre Zukunftstechnologie: ressourcenschonend, resilient, weil auf mehreren Energieträgern ruhend und beherrschbar.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verdanken der Kritik an der Nutzung der Kernspaltung ihre Existenz. Wir waren unter den ersten, die erkannt haben, dass der Weg ein falscher ist und dass uns andere Wege offen stehen. Wir haben damit maßgeblichen Anteil am Erfolg, den erneuerbare Energien in Deutschland feiern und natürlich auch am Atomausstieg. Doch unsere Aufgabe ist noch lange nicht beendet. Auch heute kommt die erneuerbare Energiegewinnung immer wieder unter Beschuss, ihr Ausbau könnte und muss viel schneller voran gehen. Wir sind dafür verantwortlich, dass wir die politischen Leitplanken dafür setzen und gleichzeitig geduldig erklären, warum wir an diesen Weg glauben. Und: Auch der Abfall, den wir mit dem Experiment Kernenergie erzeugt haben, muss noch sicher verwahrt werden. Eine fast übermenschliche Aufgabe, die wir weiter konstruktiv und kritisch begleiten wollen. 

Denn ein neues Tschernobyl oder Fukushima zuzulassen, dafür sind wir Menschen doch eigentlich zu schlau.


Anmerkungen zum Foto:

Das Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Bild „Die friedliche Nutzung der Kernenergie“ des Leipziger Malers Werner Petzold. Das 12 x 16 m große Bild im Stil des Sozialistischen Realismus hat zu DDR-Zeiten den Giebel des Hauptgebäudes der Wismut-Verwaltung in Paitzdorf „geziert“. Es besteht aus 384 emaillierten Stahlblechen von je 100 x 50 cm, von denen je acht Stück ein Segment bilden. Seit 2009 steht es als eines der größten freistehenden Kunstwerke Deutschlands zwischen der Halde Beerwalde und dem Förderturm Löbichau des ehemaligen Schachtes 403 im ehemaligen Uran-Abbaugebiet rund um Ronneburg.