Thüringen weltoffen – Erklärung der Parteivorsitzenden von DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünen

Die Vorstände der Landesparteien der Rot-Rot-Grünen Koalition haben in einer gemeinsamen Erklärung auf die aktuellen Herausforderungen reagiert.

Dazu die Vorsitzenden:

Christian Schaft (DIE LINKE.Thüringen): 
„Statt Abschottung brauchen wir eine Debatte über ein soziales und demokratisches Einwanderungsrecht, mit dem wir klar einstehen für ein weltoffenes Thüringen. Wir wollen Menschen das Ankommen und die Teilhabe erleichtern sowie Hürden abbauen. Der Aufbau eines Landesamtes mit der Bündelung der Kompetenzen im Bereich Migration und Integration ist nach den Erfahrungen der letzten Wochen, zum Beispiel bei der Kommunikation des Landesverwaltungsamtes, die logische Konsequenz.“

Georg Maier (SPD Thüringen): 
„Die organisatorische und finanzielle Unterstützung der Kommunen ist zentral. Die Herausforderungen können wir nur gemeinsam meistern.“

Bernhard Stengele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN THÜRINGEN):
„Es braucht genügend Erstaufnahmekapazitäten und Unterbringungsmöglichkeiten in den Kommunen. Damit dies gelingt, müssen Kompetenzen gebündelt und bürokratische Hemmnisse beseitigt werden, damit Geld und Hilfe schnell zum Bestimmungsort finden kann.“


Thüringen weltoffen – Erklärung der Parteivorsitzenden von DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünen

Als vor zwei Jahren der Koalitionsvertrag zwischen LINKE, SPD und GRÜNEN mit dem Titel „Gemeinsam neue Wege gehen“ unterzeichnet wurde, konnten wir uns nicht ansatzweise vorstellen, welche Krisen wir gemeinsam werden bewältigen müssen.  Auf die Pandemie folgte Wladimir Putins verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine und deren Infrastruktur zur Demoralisierung der Bevölkerung. Seit Februar dieses Jahres suchen Menschen aus der Ukraine Schutz und Sicherheit, auch hier in Thüringen. Hinzu kommen auch Menschen aus vielen anderen Ländern der Welt, die bei uns eine sichere Bleibe suchen. Dies stellt uns und die Kommunen in Thüringen vor Aufgaben, die es gemeinsam zu bewältigen gilt. Vor allem, wenn wir unserem Ziel ein weltoffenes Thüringen zu gestalten, gemeinsam näherkommen wollen. Abschottung, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit sind für uns keine Alternativen.

Wir wollen die Menschen aus den Kriegsgebieten aufnehmen und ihnen ein warmes und sicheres Zuhause anbieten. Hierfür müssen die infrastrukturellen Voraussetzungen schnellstmöglich geschaffen werden. Dazu bedarf es einer Anstrengung der Verantwortungsträger:innen auf allen Ebenen im Land und den Kommunen, um dafür zu sorgen, dass die Geflüchteten  menschenwürdig untergebracht und versorgt sind. Zelte halten wir nicht für angemessenen Wohnraum. Die Unterbringung von Geflüchteten muss den Grundanforderungen an Privatsphäre, Teilhabe und Integration Rechnung tragen. Die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl und weitere geplante sowie benötigte große Einrichtungen zur Unterbringung dienen zum Ankommen, aber können keine Dauerlösung sein. Unserer Ansicht nach ist der richtige Weg die dezentrale Unterbringung in Wohnungen und nicht der dauerhafte Aufenthalt in Massenunterkünften oder Sporthallen. Diese bilden lediglich einen notwendigen Übergang auf dem Weg in Wohnungen. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben in Würde. Uns ist bewusst: Kein Mensch flieht freiwillig. Ausgrenzung und Diskriminierung gilt es deshalb konsequent und überall zu begegnen. Eine „das Boot ist voll“-Rhetorik darf nicht das Handeln vor Ort und im Land bestimmen. Geflüchtete dürfen nicht als „Belastungsfaktoren“ betrachtet werden. Nicht ihre Ankunft ist eine Herausforderung, sondern die Schaffung von ausreichend Wohnraum. Hier wollen wir gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Aus unserer Sicht sind für eine gelingende Aufnahme der Geflüchteten im Sinne einer menschenrechtsorientierten Asyl- und Migrationspolitik, insbesondere mit Blick auf die aktuelle Situation, folgende Maßnahmen notwendig:

  • Die Bündelung der entscheidenden Kompetenzen für Migration und Integration. Bestehende Reibungsverluste in der Organisation und Kommunikation zwischen den zuständigen Ministerien, Verwaltungsbehörden, Landkreisen und Kommunen müssen vermieden werden. Ein wichtiger Schritt ist dafür die Einrichtung einer Stabsstelle. Zudem muss zügig der Aufbau eines eigenen Landesamtes für Migration erfolgen, in dem künftig alle Verfahren und Kompetenzen gebündelt werden.
  • Die Anpassung der Flüchtlingskostenerstattungsverordnung, um die finanziellen Bedarfe der Landkreise und Kommunen zu berücksichtigen und zeitgleich eine adäquate dezentrale Unterbringung der Geflüchteten zu ermöglichen.
  • Die Schaffung von Wohnraum zur Gewährleistung der dezentralen Unterbringung.  Deshalb ist es eine richtige Entscheidung aus den Mitteln des Bundes für 2023 zur Aufnahme von Geflüchteten ein Anteil von mindestens 12,5 Millionen Euro zu nutzen, um weitere kommunale Kapazitäten für die Unterbringung von Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit der Thüringer Wohnungswirtschaft und den Kommunen zu schaffen. In den Kommunen sollten in dem Zusammenhang die Stadt- und Gemeindeentwicklungskonzepte überprüft werden, ob diese den Bedarf an Wohnraum vor Ort ausreichend berücksichtigen.
  • Eine gelingende Unterstützung beim Ankommen und der Integration von Geflüchteten und Zugewanderten braucht eine langfristige Perspektive und mehr Planungssicherheit. Die Integrationsrichtlinie des Landes ist deshalb so anzupassen, dass Projekte durch das Land in Höhe von 90% über 3 Jahre gefördert werden können.

Nach Beginn des Krieges und Ankunft der ersten Geflüchteten aus der Ukraine sowie bereits in den letzten Jahren wie bspw. 2015 haben Menschen in ganz Thüringen, Kommunen und Landkreise sowie das Land eine hohe Aufnahmebereitschaft gezeigt. Ohne die Unterstützung der vielen ehrenamtlichen Helfer:innen, Kommunalen- und Landesbeschäftigten sowie und sozialen Träger:innen und Dienstleister:innen wäre das nicht möglich gewesen. All denen die Geflüchtete willkommen heißen und sie vor Ort unterstützen, gilt unser Dank. Auf diesem Engagement für ein weltoffenes Thüringen wollen wir gemeinsam aufbauen. Wir wollen jeder und jedem, der oder die neu nach Thüringen kommt, erwägt sich hier niederzulassen, von Beginn an ein Willkommensangebot machen: Sprachkurse, Ausbau der Sozialbetreuung, Anerkennungsberatung, Zugang zu Bildung, Hinführung zu Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oder vielfältige Begegnungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, statt Abschottung oder Duldung müssen unsere Antwort sein.

Für den Einsatz für ein Thüringen, in dem jeder Mensch unabhängig seiner Herkunft willkommen ist und die besten Möglichkeiten erhalten soll, um hier anzukommen, zu leben und Teil der Gesellschaft zu sein, braucht es weitere Maßnahmen. Mit Sorge sehen wir deshalb auf die Art und Weise, wie aktuell nicht nur über Geflüchtete gesprochen wird, sondern auch welche Stimmung gegen die geplanten Verbesserungen beim Staatsbürger:innenrecht gemacht wird. Seit vielen Jahren leben auch hier Menschen, die Teil unserer Gesellschaft sind und sein wollen, denen aber die Teilhabe unnötig erschwert wird. Ihnen muss endlich eine Perspektive gegeben werden.  Wenn im Zusammenhang mit dem geplanten erleichterten Zugang zur deutschen Staatsbürger:innenschaft von „Abwertung“ oder „Ramsch-Ware“ gesprochen wird, ist das nicht hinnehmbar. Das gesellschaftliche Klima wird dadurch ebenso belastet, wie durch die „das Boot ist voll“-Rhetorik. Das Problem heißt auch in Thüringen vielerorts Rassismus. Dem müssen wir auf allen Ebenen und in jeder Form gemeinsam entgegentreten. Die gefährliche Lüge von der massenhaften Einwanderung in unsere Sozialsysteme muss endlich der Vergangenheit angehören. Statt Abwehr braucht es eine breite Debatte über ein soziales und demokratisches Einwanderungs- sowie Staatsbürger:innenrecht, in dem wir auf ein „inklusives wir“ all der Menschen die hier leben, setzen. Dabei geht es um nicht weniger als um die grundlegenden Rechte der sozialen und demokratischen Teilhabe. Für uns ist klar: Für die Zuwanderung und Einbindung von Menschen in Thüringen braucht es ein offenes Klima und ein Land, in dem sich alle Menschen gleich wohl und sicher fühlen können. Wir sind als Koalition bereit, dafür alle Aufgaben gemeinsam anzupacken.


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