Grüne Polizist*innen in Zeiten der Pandemie 14. Februar 202219. Juli 2023 Rückblick auf den Digitalen Feierabend vom 16. Februar 2022: „Grüne Polizist*innen in Zeiten der Pandemie“ Warum entscheiden sich Frauen zur Polizei zu gehen? Warum entscheiden sich Mitglieder vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Polizei zu gehen? Warum entscheiden sich grüne Frauen zur Polizei zu gehen? Wie geht es ihnen dort, wo es möglicherweise Traditionen gibt, die mit grünem Staats- und Selbstverständnis wenig zu tun haben? Und wie ergeht es Grünen Polizist*innen mit den Herausforderungen der Pandemie? Seit Monaten sind Polizist*innen bei Corona-Protesten im Einsatz. Die Arbeitsbelastung ist hoch, die Herausforderungen neu und die Gewaltbereitschaft bei den sogenannten Corona-Spaziergängen steigt. Über diese und weiter Fragen sprach unser Landessprecher Bernhard Stengele beim Digitalen Feierabend am Mittwoch, den 16. Februar 2022 mit Doreen Denstädt, Polizistin und aktives grünes Mitglied, Armin Bohnert, Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Vereins PolizeiGrün und mit vielen weiteren interessierten Gästen. Armin Bohnert erlebt den Alltag als Grüner in der Polizeiarbeit seit etwas mehr als zehn Jahren. Aus Baden-Württemberg stammend, trat er zu Zeiten der Stuttgart21-Proteste den Bündnisgrünen bei. Er stellt klar: Vorurteile der Polizei gegenüber Grünen zu beseitigen sei „das Bohren ganz dicker Bretter“. Während die CDU in der baden-württembergischen Polizei einen Arbeitskreis habe und auch Gewerkschaften bei den Beamten gern gesehen sind, musste er mitbekommen, dass er von Polizeikolleg*innen öffentlich als „charakterlich ungeeignet für den Polizeiberuf“ bezeichnet wurde. Dass Doreen Denstädt als Schwarze Frau bei der Polizei ein Einzelfall in Thüringen ist, wird ihr erst klar, als der MDR sie für eine Reportage anfragt. Auf Anfrage aus dem Innenministerium nach Schwarzen Polizeikolleg*innen im Freistaat wird deutlich, dass es neben ihr offensichtlich keine weitere Schwarze Polizistin in Thüringen gebe. Problematisch sei das, weil es ohne Repräsentanz schwierig ist, wirksame Arbeit gegen strukturellen Rassismus voranzubringen. „Ich dachte, wir wären weiter. Wir sind es aber nicht.“ Armin Bohnert sagte, er möchte gar nicht wissen, welche Partei manche seiner Kolleg*innen wählen würden. Dabei ist sein Eindruck, dass die Grünen der Polizei freundlicher gegenüberstehen, als manche Polizist*innen den Grünen gegenüber. Aber woran liegt das? Armin Bohnert und Doreen Denstädt sind sich einig, dass stille Mitgliedschaften innerhalb von Parteien durchaus unproblematisch seien. Sobald man jedoch Haltung bei Themen zeige, die die Polizeiarbeit direkt betreffen (zum Beispiel zu Elektrodistanz, Cannabis-Legalisierung oder unabhängigen Beschwerdestellen), setze man seinen Erfolg und seine Karriere aufs Spiel. Der Abwehrreflex der Polizei gegenüber vielen Reformen hänge u.a. mit sehr konservativen Strukturen zusammen: Der Polizist*innen-Beruf, der die Hierarchie innerhalb der Polizei seit Jahrzehnten lehrt, ließe sich nicht gerne von Politik und Gesellschaft auf die Finger schauen. Die jahrelange Routine mit teilweise sehr harten Erlebnissen ohne Aufarbeitung würde eine „Wir-wissen-es-besser“-Haltung hervorrufen. Diese Haltung resultiere aber auch aus den Anfeindungen und dem sinkenden Vertrauen, das die Polizei aus der Gesellschaft immer häufiger zu spüren bekäme. Gerade bei den Spaziergängen gegen die aktuellen Corona-Beschränkungen würde klar werden: Die polizeiliche Autorität wird immer häufiger infrage gestellt. Dabei würden Reformen wie eine zeitgemäßere Fehlerkultur an dem Selbstverständnis der Polizeiarbeit nagen: Es gelte in der Rollenverteilung der Grundsatz, dass Fehler persönliche Konsequenzen mit sich ziehen. Wer diese Konsequenzen vermeiden wolle, wolle in der Nachbereitung auch keine Fehler eingestehen. Generell werde Themen der gesellschaftlichen Rolle der Polizei in Aus- und Weiterbildungen nicht genügend Zeit gegeben. Die polizeiliche Ausbildung sei vollgepackt mit diversen Themen, die alle ausführlicher behandelt werden. Es brauche eine längere polizeiliche Ausbildung oder einen neuen Themenfokus. Beides sei in der aktuellen Situation nicht zu verwirklichen. Doch Armin Bohnert, Doreen Denstädt und auch weitere Polizist*innen, die beim digitalen Feierabend mitdiskutierten, waren sich einig: Mit der neuen, jüngeren Generation an Polizeikräften würde dieser Reformwiderstand nicht mehr haltbar sein. Engagierte Beamte wie Doreen Denstädt und ihr Kollege von der Polizei Meiningen organisierten beispielsweise ein Seminar, um das Bewusstsein für rassistisches Denken in den Köpfen der Polizist*innen zu schärfen. Immer mehr würden sie aus ihrer Verteidigungshaltung herauskommen und sich mit Selbstkritik und den negativen Seiten ihrer polizeilichen Routine beschäftigen. Doch der Eindruck bleibt: Es ist noch eine Menge zu tun.