„Wir blenden aus, dass wir aus fühlenden Mitgeschöpfen Ware gemacht haben. Sonst würden wir durchdrehen.“

Rückblick auf den digitalen Feierabend vom 23. November 2022 „Tierschutz in Thüringen? Da geht noch was!“

„Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet. Sie werden vor nicht artgemäßer Haltung und vermeidbarem Leiden geschützt.“ So schreibt es Thüringen in Artikel 32 seiner Verfassung fest. Was dem aktuell im Weg steht und wie wir schaffen diesem hohen Ziel gerecht zu werden, diskutierten beim Digitalen Feierabend am 23. November 2022 unsere Landessprecherin Ann-Sophie Bohm, Philipp Bruck von der Bürgerschaft Bremen und Kevin Schmidt vom Landestierschutzverband Thüringen.

Tiere sind überall um uns herum, in der Landwirtschaft, als „Haustiere“ oder in der freien Natur. Deswegen müsse man darüber reden, wie man mit ihnen umgehe, erklärte Ann-Sophie Bohm. Allein in Thüringen würden etwa 300.000 Rinder, 660.000 Schweine, 100.000 Schafe und 1,8 Mio. Hennen leben. Für sie alle würden wir eine direkte Verantwortung tragen, damit sie, auch wenn sie von uns „gehalten“ würden, ein gutes Leben führen könnten.

In Bremen stehe man im Bereich des Tierschutz in einigen Dingen noch am Anfang, erklärte Philipp Bruck. Etwa habe man vor einem Jahr einen Sachkundenachweis für jegliche Haustierhaltung gefordert. Denn, wenn man sich ein Tier anschaffe, sollte man dessen Bedürfnisse und gewisse Grundlagen kennen. Dessen tatsächliche Einführung hielt Philipp Bruck in dieser Koalition jedoch für unrealistisch. Einiges konnte aber durchgesetzt werden. So konnte die Landestierschutzbeauftragte kürzlich ihre Arbeit aufnehmen, was das Thema des Tierschutzes wieder stärker auf die politische Agenda bringe. Oft sei Tierschutz nur ein Thema von vielen, mit ihr gebe es aber jemanden, der die Bedürfnisse von Tieren bei allen Gesetzen und Initiativen mitdenken könne, für das Thema sichtbar sei, und den Tieren die ja nicht für sich selbst sprechen könnten, eine Stimme gebe. Das sei ebenso mit der Stärkung des Verbandsklagerecht gelungen, so dass Tierschutzverbände klagen können, wenn sie mit Entscheidungen von Behörden nicht einverstanden seien.

Kevin Schmidt, der an diesem Abend die Perspektive des Landestierschutzverbands Thüringen vertrat, erläuterte die Herausforderungen vor denen die Tierheime und Tierschutzvereine stünden. Deren Ziel sei, für die Tiere zu sprechen und sich um sie zu kümmern. Dabei fokussiere man sich auf den ländlichen Raum und wie man dort Tierheime und Tierschutzvereine über Wasser halten könne. Wenn sich in diesem Bereich nichts ändere, dann sehe man Horrorszenarien entgegen, warnte Kevin Schmidt. Tierschutz sei eigentlich Aufgabe der Kommune, ohne Spendengelder könne man aber eigentlich kaum etwas finanzieren oder Personal bezahlen. Und die Spendenbereitschaft der Menschen sinke, verständlich, angesichts der steigenden Kosten, die auf sie zukämen. Fördergelder, die den Tierheimen eigentlich zur Verfügung stehen sollten, seien nur über Beantragungsprozesse („mittelschwere Katastrophe“) abrufbar. Bei der Beantragung von Baugeldern, „wenn das Tierheim schon halb auseinander fällt“, was öfter der Fall sei, sei es besonders schwierig.

In den von den Kommunen geführten Tierheimen, die vielleicht eine*n Sachbearbeiter*in beschäftigen können, der*die solche Anträge ausfüllen könne, sei das kein Problem. Wenn das Tierheim aber von Ehrenamtler*innen am Laufen gehalten werde, müssen auch diese bei Anträgen unterschreiben, alles gewissenhaft geprüft zu haben, obwohl man im Zweifel keine Ahnung habe. Und im Ernstfall hafte man selbst dafür und müsse ausgezahlte Gelder womöglich privat zurückzahlen. Dadurch würden viele Gelder gar nicht erst abgerufen, beziehungsweise nur von denen die wüssten wie man diese Anträge ausfüllen müsse. Dann würden Gelder eben auch nur an bestimmte Einrichtungen gehen. Trotz der finanziell angespannten Lage seien die Tierheime aber voll. Ein Nebenprodukt der Corona-Pandemie und den lockeren Bestimmungen zum Online-Handel mit Tieren.

Dagegen sei man auf Landesebene aber nicht machtlos, so Philipp Bruck. In Bremen habe das Veterinäramt in Zusammenarbeit mit der Polizei die Kontrollen verschärft. Wenn man personell richtig eingestellt sei, könne man schon sehr viel mehr machen. Trotzdem waren sich die Referent*innen einig, dass Online-Handel mit Tieren auf Bundesebene verboten werden müsse.

In der Thüringer Tierwohlstrategie von 2019, die auch Bestandteil des Koalitionsvertrags ist, hieß es, es werde großer Anstrengungen bedürfen, um die Empfehlungen in den kommenden Jahren umzusetzen, wie Ann-Sophie Bohm zitierte. Das wäre wieder ins Bewusstsein der Menschen gerückt worden, als im August in der Schweinemastanlage in Nordhausen 2.000 Schweine erstickt waren. Der Landestierschutzverband habe Anzeige erstattet, die Kleine Anfrage der Landtagsfraktion der Grünen laufe, aber viele Fragen blieben offen. In dieser Mastanlage gebe es mehr Schweine als Einwohner*innen in Nordhausen, erklärte Kevin Schmidt. Die in der Presse verbreitete Aussage, dass technisches Versagen ausgeschlossen werden konnte, stimme schlicht nicht. Die Belüftung war ausgefallen. Die Alarmanlage habe aber funktioniert, die verantwortliche Person habe daraufhin nicht nachgesehen was los sei. Die Grundverantwortung liege natürlich trotzdem bei der Firma. Jedes Tier müsse die Möglichkeit haben, sich nach draußen zu begeben. Sonst habe es im Notfall keine Chance und würde ersticken. Kevin Schmidt kritisierte weiter, dass man diese Zahlen einfach so hinnehme und vermutete, dass der Stall gebrannt hätte, wären es 20 Hunde anstelle der Schweine gewesen.

Man müsse den Menschen versinnbildlichen, was für ihren Genuss an Leid produziert werde. In Umfragen seien die meisten Menschen für bessere Tierhaltung, das zeige sich nur leider nicht in ihrem Konsumverhalten. Massenproduktion sei vielleicht für Ford und das Auto eine gute Geschichte gewesen, dem Auto sei es schließlich egal gewesen, in welcher Stückzahl es über das Band gelaufen sei. Dem Tier sei es nicht egal.

„Mittlerweile blenden wir aber aus, dass wir aus fühlenden Mitgeschöpfen Ware gemacht haben. Wir blenden Individuen aus, weil wir sonst durchdrehen würden.“

Philipp Bruck habe Sympathien dafür, Tierhaltung vollständig abzuschaffen. Aber in einer Welt, die weit davon entfernt sei, müsse man gucken, welche realistischen Schritte man gehen könne. Die übliche Strategie sei dann gewisse Mindeststandards einzufordern, dabei werde aber oft nicht bedacht, dass Landwirte für eine bessere Tierhaltung auch besser entlohnt werden müssten (und um wirklich etwas zu verändern müssten die Mindeststandards schon sehr hoch sein, damit es kein Greenwashing wäre), da bestehende im Grunde immer noch ungenügend seien.

Ann-Sophie Bohm ergänzte, auch Landwirte seien Teil des Systems „wachse oder weiche“ und damit angehalten, immer größere Anlagen zu bauen, da die Preise die wir als Gesellschaft zahlen würden, zu gering seien.

Auf die Frage wie man Menschen davon überzeuge, ihr Konsumverhalten zu hinterfragen, bekräftigte Kevin Schmidt, dass er nicht durch die Straßen renne und Menschen Schockbilder zeige und ihnen vorwerfe, was sie für böse Menschen seien. Zwang und Vorwurf bringe nichts, das werde nur auf Ablehnung stoßen. Als Tierschutzverband versuche man eher Dinge aufzuzeigen und Bildungsarbeit zu leisten. Den Menschen müsse klargemacht werden, wo ihre Lebensmittel herkämen, dass der Mensch Tiere früher auch nicht in Fabriken gehalten habe und das auch funktionierte. Warum allein schon aus Platzproblemen riesige Komplikationen auf uns zukämen, wenn man an dieser industriellen Abfertigung der Tiere festhalte.

Ann-Sophie Bohm ergänzte, ihrer Erfahrung nach seien unterschiedliche Varianten für verschiedene Menschen hilfreich, um sie zu einem Umdenken zu motivieren. Für die Einen sei es hilfreich, die Realität zu kennen, die schlimmen Haltungsbedingungen. Während es anderen helfe, Alternativen zu kennen.