„Mutig. Stark. Solidarisch.“ Das war unsere erste grüne FLINTA* Konferenz 25. November 202219. April 2023 „Mutig, stark, solidarisch. Es gibt kaum drei Wörter, die den Kampfgeist von Frauen und queeren Menschen besser beschreiben würden als diese.“ Nach der Eröffnung der ersten grünen FLINTA*Konferenz am 19.11.22 durch Landessprecherin Ann-Sophie Bohm, FLINTA*- und Genderpolitischen Sprecherin Susanne Martin und MdL Laura Wahl, erinnerte Claudia Roth (MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien) in ihrem digitalen Grußwort an all die tragischen Rückschläge und Verluste, die FLINTA*-Personen auf der ganzen Welt allein in den letzten Monaten aushalten mussten. An die mutigen Frauen und Minderheiten die sich im Iran gegen das diktatorische Regime wehren. An die unaufhaltbare Solidarität der Menschen in den USA, in Polen und auch hier, die sich klar für Selbstbestimmungsrechte positionieren. Die, die klar dafür stehen, dass unsere Stimmen zusammen gegen Hass nicht verstummen. „Hass hat sich zu einem politischen Mittel entwickelt“ Mit Hass – besonders im Netz – kennen sich leider die meisten FLINTA* Personen aus. So schilderte Josephine Ballon, Head of Legal bei Hate Aid, die allmähliche Normalisierung von digitaler Gewalt in sozialen Netzwerken, wie allgegenwärtig dieser vor allem für junge Menschen sei, welche nur mit dem Internet von nach 2015 aufgewachsen sind. Hass, so erklärte sie, habe sich zu einem politischen Mittel entwickelt, um bestimmte Positionen in Mehrheitsgesellschaften zu bringen – oder zumindest durch die organisierte Verbreitung von Hass den Anschein zu erwecken, als ob eine Meinung mehr Zustimmung fände, als es in Wirklichkeit der Fall sei. Dabei würden die „Organisatoren“ dieser Hasskommentare strategisch vorgehen, etwa würden sie ihre „Tipps“ in Leitlinien herausgeben, in denen beispielsweise empfohlen werde, keine strafrechtlich relevanten Aussagen zu machen oder speziell junge Frauen zu attackieren, thematisch „am besten auf Familie oder Herkunft einzugehen“ – damit deren Meinung im Internet nicht stattfinde. Daraus resultiere, dass sich 54% der Internetnutzer*innen sich im Internet nicht trauen ihre politische Meinung zu äußern – aus Angst vor Hass oder Hetze. Genau das, erklärte Josephine Ballon, stelle einen schleichenden Angriff auf die Demokratie dar. Soziale Medien seien längst in das Leben der meisten Menschen integriert und damit wichtige, öffentliche Orte der sozialen Teilhabe – an denen man sich nicht mehr sicher fühlen könne. Für viele Betroffene von digitaler Gewalt (die sich in vielen Formen äußern kann, das können Hasskommentare sein oder auch bestimmte unerwünschte Bilder) sei es schwer die Situation überhaupt als solche einzuordnen und die psychischen Auswirkungen sowie Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Und, am wichtigsten, festzustellen, dass sie kein Einzelfall sind, sondern Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Problems. „Wir sollten Mut schöpfen aus der feministischen Revolution – wenn wir sehen wie andere ihre Leben riskieren. Es ist ein Ausdruck des globalen Kampfs gegen das Patriarchat.“ Im ihrem Grußwort berichtete Pegah Edalatian, stellvertretende Bundesvorsitzende und vielfaltspolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, über die Situation von FLINTA* Personen im Iran und auch der Exil-Iraner*innen in Deutschland. Diese würden mit den brutalen Bildern aus dem Iran aufwachen, mit ihnen einschlafen, trotz der enormen psychischen Belastung den Alltag irgendwie meistern und seien beschämt darüber zu reden – es soll ja nicht um sie gehen. In einer Gesellschaft in der Leistung ganz oben stehe, sollen sie auch in Krisenzeiten funktionieren. Deswegen sei es unter anderem so wichtig, dass FLINTA*Personen in Führungspositionen vertreten seien, dann könnten auch andere Dinge in Frage gestellt werden. Dafür müssten FLINTA*Personen um mehr Aufmerksamkeit kämpfen, was in einer nicht-diversen Politik- und Medienlandschaft nicht leicht sei. Als Beispiel führte sie die Proteste 2009 im Iran an, die von männlichen Journalisten als „Gucci-Bewegung“ abgetan wurde. Durch weibliche Journalistinnen wären die Proteste in diesem Jahr schließlich ernst genommen wurden – was gewirkt habe. Erst jetzt würden auch in Deutschland FLINTA* Themen auf die Agenda gebracht werden – durch die Diversität von Menschen in der Politik. Das Vielfaltsstatut könne dabei helfen, Strukturen aufzubrechen und Menschen zu ermutigen, sich einzubringen. Das sei es, was unsere Demokratie zu einer besseren und vollständigeren machen – eine in der alle teilhaben könnten. „Wenn man von feministischer Außenpolitik spricht, muss man auch von feministischer Innenpolitik sprechen.“ Zum Abschluss des Tages tauschten sich Ann-Sophie Bohm, Pegah Edalatian, Madeleine Henfling (MdL), Theresa Ertel (Koordienierungsstelle LSBTIQ) und Josephine Ballon zusammen mit Teilnehmenden über eigene Erfahrungen mit Hass und Anfeindungen aus, über Strategien damit umzugehen und Verbesserungsmöglichkeiten in Polizei und Justiz. Wie Madeleine Henfling berichtete, kämen ihr Hass und Anfeindungen nicht konstant entgegen, eher wellenartig und abhängig davon, wie sie sich äußere. Ihr Umgang mit Hassnachrichten habe sich in den letzten Jahren verändert, so erklärte sie, am Anfang habe sie alles angezeigt. Mittlerweile habe sich ihre persönliche Strategie verändert – sowie das Vertrauen in die Polizei. Sie erzählte von einem Fall in dem sie den Verfasser einer solchen Nachricht über ihr näheres Umfeld kannte und ihn dann darauf ansprach – worauf der Hass seinerseits aufhörte. Das sei natürlich keine Strategie für jede*n. Als viel schlimmer komme ihr überhaupt der Kampf vor, im Alltag ernst genommen zu werden. Sie beschrieb, wie sie sich mittlerweile mit Kolleginnen solidarisiere, indem man sich untereinander vor sexistischen Kommentaren von Kollegen verteidige oder sich in Diskussionen aufeinander beziehe und somit bestärke. Deswegen sei es auch so wichtig, darüber zu reden was einem passiere und sich ein Netzwerk zur Unterstützung aufzubauen. Wie Ann-Sophie Bohm erklärte, auch um zu erkennen, dass es nicht um einen persönlich gehe, sondern darum dass man auf seine Merkmale reduziert werde, als Frau oder Grüne beispielsweise, wovon man sich distanzieren könne. Deutliche Handlungsfelder sahen die Referent*innen bei den Polizeidienststellen. Wie Madeleine Henfling es ausdrückte, seien die Polizeidienststellen in keinster Weise in der digitalen Welt angekommen. Zudem sei sie unsicher, ob das föderale Polizeisystem überhaupt auf das Phänomen der digitalen Gewalt vorbereitet sei. Ihrer Meinung nach, böten Polizei und Justiz gerade keine adäquaten Ansprechpartner in Fällen der digitalen Gewalt, es gäbe dort keine (oder wenige) Spezialist*innen und im Ernstfall würden die Betroffenen eine sekundäre Viktimisierung erfahren. Dafür müsse sich Innenpolitik ändern, sodass mehr Menschen sich geschützt fühlen könnten. Laut Theresa Ertel seien einige Gruppen spezifischer von (digitaler) Gewalt bedroht als andere. Das zeige sich zum Beispiel darin, wie man bei der Organisation von Christopher Street Days bei vorher angekündigten Bedrohungen in einigen Fällen trotzdem um den Polizeischutz kämpfen müsse. Reelle Bedrohungslagen würden nicht ernst genug genommen werden – im Grunde, so erklärte sie, müssten alle Strukturen geschult werden und Beratungsstellen dringend erhalten und ausgebaut. Diese seien eine wichtige Instanz, wenn Betroffene nicht direkt zur Polizei wollen, könnten Beratungsstellen den Prozess begleiten oder bei einer Anzeige unterstützen. Dass es so wenige Beratungsstellen gäbe, liege auch an viel Unwissenheit im Innenministerium. Dort, so Madeleine Henfling, würden nämlich keine Soziolog*innen sitzen, sondern Jurist*innen und Polizist*innen. Zudem, erklärte eine Teilnehmerin, seien die Statistiken mit denen man dort arbeite unbrauchbar – weil Betroffene beispielsweise für sich den Beschluss gefasst haben, Dinge nicht mehr anzuzeigen und die Statistiken in ungenauen Kategorien erfasst würden. Wie Theresa Ertel erklärte, sei die Frage ob man eine Anzeige erstatte auch eine Ressourcenfrage – es brauche Zeit, Wissen und Sprachkenntnisse dafür. Ann-Sophie Bohm ergänzte, besonders FLINTA*Personen seien gewohnt die Schuld eher bei sich zu suchen, sich selbst infrage zu stellen, ob man nicht zu empfindlich sei. Das sei auch für Menschen mit Behinderung problematisch, diese würden entweder nicht ernst genommen oder von staatlichen Stellen bevormundet, wie eine Teilnehmende erklärte. Trotzdem seien diese Statistiken die Grundlage für die Arbeit des Innenministeriums. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, aber ein straffreier, erklärte Josephine Ballon auf die Frage nach den Rechtsgrundlagen. Das liege unter anderem daran, dass, wie bei vielen Dingen in Deutschland, die Rechte zwar da seien, aber nur mühselig zugänglich womit viele Menschen gar nicht um ihre Rechte wüssten. Zudem seien zivilrechtliche Möglichkeiten meist zu langsam und auch kostspielig. Womit die Verantwortung eines gesamtgesellschaftlichen Problems auf Einzelpersonen abgeschoben würde, wie Ann-Sophie Bohm ergänzte. Einige seien durch den straffreien Raum, den soziale Medien bieten, abgeschreckt, während andere sich darauf verlassen würden. Dabei kam die Erwägung von höheren Strafen in die Diskussion. Josephine Ballon erklärte, das könnte potenzielle Täter*innen abschrecken. Zusätzlich müssten Erfolge (beispielsweise erfolgreiche Strafen gegen Täter*innen) und auch Konsequenzen laut kommuniziert werden, wie etwa im Fall von Renate Künast. Die Demokratie sei auf (Kommunal-)Politiker*innen angewiesen, die arbeiten können ohne angefeindet oder bedroht zu werden. In ihren abschließenden Worten plädierte Ann-Sophie Bohm dafür, den Hass nicht zu sehr heranzulassen, sich mit anderen zu vernetzen um Hass und Anfeindungen so gemeinsam mit politischer Arbeit entgegen zu wirken – und im nächsten Jahr zur zweiten grünen FLINTA*Konferenz wiederzukommen.