Dein Digitaler Feierabend: „Arm durch Heizen? Wie die sozial gerechte Wärmewende funktionieren kann“

Sobald es draußen kalt wird, werden drinnen die Heizungen aufgedreht. Angesichts der steigenden Heizkosten ist dies ein Luxus, den sich nicht jede*r leisten kann: 15 Millionen Menschen in Deutschland gelten als „energiearm“*, Tendenz steigend. Die Gaspreise steigen seit Monaten und befinden sich derzeitig auf einem langjährigen Höchststand. Neben der spürbaren finanziellen Mehrbelastung durch den steigenden Gaspreis kommt für viele Mieter*innen auch noch die künftig zu entrichtende CO2-Abgabe hinzu. Wie schaffen wir es die Wärmewende zu beschleunigen und gleichzeitig die Mieter*innen zu entlastet? Darüber haben wir diskutiert mit Michael Bloss, Europa-Abgeordneter und Klimaschutzexperte, mit dem Energiegenossenschaftler Matthias Golle und mit Ramona Ballod von der Verbraucherzentrale Thüringen.

Mit welchen Mitteln kann eine Wärmewende überhaupt umsetzt werden? Michael Bloss stellt klar: Auch wenn die EU weiterhin Milliarden in neue Gaspipelines investiert, seien die teuren Gaspreise Grund dafür, warum Heizen für viele ein zu hoher finanzieller Aufwand sei. Es müsse sich daher vor allem auf den Ausbau von erneuerbaren Energien konzentriert werden. Ziel sei es ab 2025 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien zu betreiben.

An dieser Stelle stellte sich die Frage, ob man, um dieses ambitionierte Ziel erreichen zu können, zusätzlich auch auf nicht-erneuerbare, aber klimafreundlichere Heizquellen zurückgreifen könne, wie z.B. Wasserstoff oder CO2-reduziertes Gas. Auch wenn diese Energiequellen innerhalb der EU auf viel Zustimmung stoßen, warnte Michael Bloss vor falschen Mythen. Bei Wasserstoff müssen die hohen Produktionskosten bedacht werden. Und das Konzept des CO2-reduzierten Erdgases sei aus seiner Sicht nicht umsetzbar, da die Verpressungskapazitäten nicht ausreichen würden und man bei dieser Erzählung das produzierte Methan aus den Vorkettenemissionen ignorieren würde.

Die Frage, wie die Verbraucher*innen als Gewinner*innen aus der Wärmewende hervorgehen, war etwas komplizierter zu beantworten: Michael Bloss nannte als Vorbild das Investitionspaket der USA, das sich auf die Lage der Verbraucher*innen fokussiere und auf diese Weise die Bürger*innen von einer Energiewende profitieren lasse.

Eine schnell herbeigeführte Lösung in Deutschland sah auch Ramona Ballod nicht. Die Gaspreise seien für viele Verbraucher*innen nicht bezahlbar, dennoch bauen sich noch immer viele Privathaushalte einen neuen Gasanschluss ein. Die Folgen würden ihr große Sorgen machen und schon bald an den Nachzahlungen zu messen sein. Es brauche eine Orientierung des CO2-Preises an realen Preisen, nur so könne man eine klimafreundliche und soziale Zukunft des Heizens schaffen.

Für Matthias Golle gehört zu einer sozialen Wende aber auch eine Teilhabe aller Bürger*innen an den Energieumbauprojekten in der Region. Nur so könne man Bürger*innen für kostensparende gemeinschaftliche Energieversorgung, sogenanntes Energysharing, motivieren. Man müsse weiter daran arbeiten, Akzeptanz für die Wärme- wie auch für die Energiewende zu schaffen.

Desweiteren müssen die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende auch wirtschaftlich gesetzt sein. Wie unsere Moderatorin und Landessprecherin Ann-Sophie Bohm anmerkte, werden gemeinschaftliche Photovoltaik-Anlagen bei Einfamilienhäusern selten von den Vermieter*innen gestellt, weil es dafür keine Anreize gäbe. Ein Zuschauer des Verbands Thüringer Wohnung- und Immobilienwirtschaft (vtw) wies darüber hinaus auf die hohen Kosten der Wohnungsbaugenossenschaften hin, die der Bau einer klimafreundlichen und barrierearmen Immobilie erfordere. Um Vermieter*innen und den Wohnungsmarkt zum Investieren zu motivieren, müssen Anreize geschaffen werden.

Doch um all diese Anreize und Vorgaben für eine Wärmewende zu schaffen, sei es notwendig bis auf die kommunale Ebene vorzudringen. Matthias Golle verwies auf die Verpflichtung an das Gemeinwohl und betonte, dass Blockaden durch die Kommunen für eine Wärmewende fatal seien.

Letztendlich braucht es eine gesellschaftliche Kraftanstrengung, mit Erzählungen einer Wärmewende auf Kosten der Verbraucher*innen aufzuräumen und stattdessen den Weg für eine klimafreundlichen Wärmewende mit sozialer Abfederung zu ebnen. Alle Referent*innen seien gespannt auf die Maßnahmen der Thüringer Landes- als auch der neuen Bundesregierung, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Voraussetzungen für eine faire Wärmewende zu schaffen.


Der erste Teil des digitalen Feierabends wurde aufgezeichnet und kann hier angeschaut werden: https://gruenlink.de/2dcz

*Haushalte gelten als energiearm, sobald mehr als zehn Prozent des Einkommens für Energiekosten aufgewendet werden müssen (http://www.lokale-passung.de/wp-content/uploads/2015/06/bifa_Einblick_Energiearmut_s.pdf)