„Es gibt die Wahrscheinlichkeit dass wir genau das Falsche machen. Aber auch, dass wir genau das Richtige machen.“

Rückblick auf den Digitalen Feierabend vom 15. Dezember 2022 „Kleber, Kartoffelbrei und Klimakrise“

Seit Monaten begleiten uns Bilder von Aktivist*innen, die Lebensmittel auf Kunst werfen und sich auf Straßen kleben. Was am Anfang regelrecht banal klang, hat mit einem Dienstagabend vor einigen Wochen eine neue Bedeutung bekommen. Im Raum stehe der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zu diesem Digitalen Feierabend waren deshalb zu Gast Christian Bläul, Aktivist der Letzten Generation, Christian Mertens, Rechtsanwalt und Sibylle Fendt, die einige Aktionen der Letzten Generation fotografisch begleitete. Moderiert von unserem Landessprecher Bernhard Stengele, wurde an diesem Abend über die Methode der Letzten Generation und der Umgang der Gesellschaft mit dieser, diskutiert.

Christian Bläul, Aktivist der Letzten Generation, sagte von sich selbst, früher, da habe er sich für einen ganz normalen Menschen gehalten, der Krisen wie den Klimawandel ausblenden konnte. Irgendwann, als die Bedrohung durch den Klimawandel aber immer näherkamen, ging das nicht mehr. Er habe für sich gemerkt, wenn er nicht handeln würde, dann wäre es seine Schuld. Und vor dreizehn Monaten habe er das erste Mal aktiv darüber nachgedacht, Teil der Protestaktionen der Letzten Generation zu werden.

Die Aktionen, die Störungen des Alltags, seien lang durchdacht gewesen. Man sei zu den (symbolischen) Orten der Zerstörung gegangen – habe zum Beispiel im Regierungsviertel und an den Eingängen der Tiefgaragen des Bundestags protestiert. Doch keine der Aktionen habe so viel Aufmerksamkeit in den Medien erhalten, wie es Lebensmittel auf Kunstwerken oder auf der Straße klebende Menschen schafften – Protestmethoden, die viele Emotionen schüren.

Die Frage, ob diese Form des Protestes angemessen sei, ist auch im juristischen Bereich relevant. In dieser Angelegenheit stand Christian Mertens für Fragen an diesem Abend zur Verfügung, der als Rechtsanwalt auch Aktivist*innen der Letzten Generation betreut. Juristisch, so erklärte er, seien diese Aktionen unheimlich kompliziert. Einordnen könne man sie unter Nötigung. Hier stelle sich aber für ihn die Frage, was eine Gruppe von Aktivist*innen die den Straßenverkehr blockieren von einer Demonstration unterscheiden würde, um die man auch herumfahren müsse. Jede*r werde im Alltag etwa drei bis vier Mal „genötigt“, etwas anders zu tun als man es wolle. Zu definieren, ab wann etwas aber tatsächlich dem Tatbestand der Nötigung entspreche, sei schwierig. Zudem sei es einer der Delikte am unteren Rand. Dass das jetzt relevant werde, hänge damit zusammen, dass die Menschen sich über die Letzte Generation aufregen würden. Jetzt beschäftige es die Gesellschaft.

In der Presse und Öffentlichkeit sei alles extrem radikal konnotiert. Bernhard Stengele erinnerte an die Bezeichnung der Letzten Generation als neue „Klima-RAF“. Als Strafverteidiger, so erklärte Christian Mertens, könne er den Vergleich der Gruppe mit einer terroristischen Vereinigung nicht nachvollziehen, zumal schon der Tatbestand der Nötigung streitbar wäre.

Der Gruppe gehe es zudem nicht um Auseinandersetzungen. Sibylle Fendt, eine Fotografin, die die Letzte Generation begleitete, berichtete und zeigte mit ihren Bildern die Aggression, die viele Menschen der Gruppe entgegenbringen. Viele Passant*innen und Autofahrer*innen seien während der Protestaktionen handgreiflich gegenüber der Gruppe geworden und die Brutalität nehme dabei deutlich zu. Christian Bläul sagte dazu, man lasse im Grunde alles mit sich machen. Man sei friedlich, wenn man von der Straße geholt werde, über Nacht in Gewahrsam genommen werde. Man stelle auch keine Anzeige wenn man auf der Straße von Menschen verletzt wurde. Das Thema sei klar und deutlich Klimapolitik. Es sei nie darum gegangen, sich beliebt zu machen. Man erfahre zwar auch Solidarität, aber das sei nicht die Mehrheit. Trotzdem sei es wichtig, den Druck aufrecht zu erhalten und das Thema Klimakrise in den Medien zu halten.

Genau das sei schon viel. Wie Bernhard Stengele erklärte, sei es viel was man verdränge. Die Herausforderungen, die diese Zeiten bieten, seien übermenschlich, da tue es einfach weh, über den Klimawandel nachzudenken. Mit den Aktionen zwinge man Menschen im Alltag hinzugucken, darüber nachzudenken, damit Gefühle aufkommen, die im besten Fall auch zum Handeln animieren.

„Aber warum stört man dann die, die damit eigentlich nichts zu tun haben? Warum geht man nicht an die, die am meisten verändern könnten?“

Eine Frage, die in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit der Letzten Generation und auch an diesem Abend immer wieder aufkam. Wie Christian Bläul erklärte, habe man das versucht. Den Menschen in den Parlamenten sei bewusst, dass diese Aktionen stattfänden. Außerdem seien alle am Klimawandel beteiligt, in Deutschland sei man aber in der privilegierten Situation, das ignorieren zu können. Sicherlich könne man sich an die Politik wenden. Die Frage bleibe, ob Protest dort auch ankomme, wenn er nicht mehr störe. Erfahrungsgemäß würden Gespräche mit Politiker*innen leichter funktionieren, wenn Druck von der Straße käme. Christian Mertens gab zu bedenken, in den ersten Wochen und Monaten während der Fridays for Future Demonstrationen auch nicht über das eigentliche Thema diskutiert worden sei, sondern nur darüber, dass junge Menschen Schule schwänzen. Die Aufmerksamkeit, die kreiert werde, entstehe ja auch nicht ohne Grund.

Christian Bläul argumentierte, er könne sich auch gut vorstellen, dass viele Menschen den Forderungen insgeheim zustimmen. Diese Menschen würden sicherlich mehr zur Sprache kommen, wenn die Aktionen innerhalb der Gesellschaft akzeptierter wären, wenn man sich etwa gegen kleinere Gruppen richte. Eine Mehrheit der Gesellschaft sei schließlich für Klimaschutz. Diese wolle aber gleichzeitig nichts dafür tun.

Es gibt die Wahrscheinlichkeit, dass wir genau das Falsche machen. Aber auch, dass wir genau das Richtige machen.“ wie Christian Bläul abschließend zu denken gab.