Dein Digitaler Feierabend: „Waffen liefern? In Kriegsgebiete?“

Seit uns seit dem 24. Februar 2022 täglich Bilder der grausamen Zerstörungen und Gräueltaten aus der Ukraine erreichen, wurden in Deutschland eine Menge Debatten neu aufgeworfen – auch bei uns Bündnisgrünen.

Nicht ohne Grund war in unserem Bundestagswahlprogramm der pazifistische Grundsatz der Partei klar definiert: „Keine Waffen in Kriegsgebiete!“. Für uns Bündnisgrüne ist der Pazifismus Teil des politischen Grundverständnisses. Bei unserem digitalen Feierabend am 27. April 2022 sprach unser Landessprecher Bernhard Stengele mit Gisela Hartmann, die seit den 70er Jahren in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv ist, sowie mit dem Pfarrer und Leiter des Shpytsky Hospitals in Lwiw, Andriy Lohin. Gemeinsam mit den Teilnehmenden tauschten sich die Referent*innen über den Ernst der Lage in der West- und Ostukraine aus und diskutierten die Frage, inwiefern in Zeiten des Angriffskriegs Putins grüne Grundsätze neu definiert werden müssen.

Andriy Lohin traf in der Zoom-Konferenz auf einige ihm bereits bekannte Gesichter: Als Partner-Krankenhaus der Lukas-Stiftung in Altenburg hatte er von ehrenamtlichen Thüringer*innen bereits Hilfsgüter verschiedenster Art nach Lwiw geliefert bekommen. Lohin bedankte sich ausdrücklich für jeden Beitrag, ohne diese Hilfe würde der Betrieb im Hospital nicht aufrechterhalten werden können.

Lohin machte deutlich, dass die Lage in der Westukraine noch unter Kontrolle sei: Der Bombenalarm sei zwar mehrfach täglich zu hören, doch die Versorgungslage sei im Vergleich zu den Städten östlich von Lwiw deutlich besser abgesichert. Betroffene aus diesen Regionen würden von schrecklichen Traumata berichten und es fehle an allem.

Aus diesem Grund habe das Shpytsky Hospital neben der Reaktivierung verschiedenster medizinischer Abteilungen auch das Personal im Bereich der psychologischen und sozialen Hilfe um 60 Mitarbeiter*innen erweitert. Darüber hinaus wurden weitere Ärzt*innen und Fahrer*innen engagiert. Bei Fahrten in die belagerten Städte würden diese ihr Leben in Gefahr begeben, um die betroffenen Regionen mit Hilfsgütern zu versorgen. Während dies alles geschieht, versuche das Hospital zeitgleich, sich auf den Ernstfall eines Vordringens der russischen Truppen vorzubereiten.

Der Geistliche der griechisch-katholischen Gemeinde stellte klar, dass sich seine Meinung zu Waffenlieferungen aus den Nato-Mitgliedsstaaten in den Schicksalen derjenigen ergründe, die die Lage in der Ostukraine am eigenen Leib erfahren mussten. Bei der Schilderung von deren Erlebnissen wäre ihm klar geworden, dass Putin mit seinem Krieg jegliches Völker- und Kriegsrecht außer Acht ließe. Für ihn sei der Griff zu den Waffen immer das letzte Argument gewesen, doch im Moment sehe er keine anderen Argumente, die Putin von seinem Angriff stoppen könnten.

Gisela Hartmann war Andriy Lohin sehr dankbar für die Schilderung der ukrainischen Schicksale: Zum Einen, weil sie als junges Mädchen den zweiten Weltkrieg miterlebt hat und die beschriebenen Ängste nachempfinden konnte. Zum Anderen aber auch, weil sie so für sich herausfinden konnte, welche Handlungen von deutscher Seite in diesem Kontext einen pazifistischen Hintergrund hätten. Seine Schilderungen würden zeigen, dass sich auch Pazifist*innen mit der militärischen Unterstützung der Ukraine vereinbaren könnten.

Die Friedensaktivistin betonte aber auch, dass man das pazifistische Motiv niemals aus den Augen verlieren dürfe. „Krieg ist immer hirnrissig“, stellte die Nordhäuserin klar. Der diplomatisch-friedliche Wille müsse immer angestrebt werden. Jedoch sei es in der Situation, in der sich die Ukrainer*innen gerade befinden, notwendig, das Land mit Waffen zu beliefern.

Eineinhalb Stunden lang diskutierten die Teilnehmenden über den deutschen Umgang mit dem Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine. Es wurde deutlich, dass die Meinungen über Waffenlieferungen gespalten sind: Die Einen äußerten die Befürchtung einer Eskalationsspirale, die bereits jetzt im Gange sei. Je länger der Krieg andauere, desto schwerer würden die Waffen werden, die Nato-Staaten an die Ukraine senden würden. Man dürfe es nicht auf einen dritten Weltkrieg ankommen lassen, sondern solle sich vielmehr um eine Exit-Strategie bemühen und jegliche diplomatischen Bemühungen wahrnehmen.

Neben Andriy Lohin verwiesen aber auch Zuschauer*innen darauf, dass diese diplomatischen Bemühungen in der Vergangenheit bereits gescheitert sind. Man dürfe den Fehler mit Putin nicht ein zweites Mal machen. Die Ukraine würde mit der Verteidigung ihres Staates auch Werte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. Dies seien auch Werte der Europäischen Union, man dürfe also nicht den Fehler machen, sie nur EU-intern zu verteidigen. Oder wie Thomas Wolf, der selber bereits Hilfsgüter nach Lwiw geliefert hatte, es nannte: „Die Ukrainer*innen sind unsere Freunde. Freunde lässt man nicht im Stich.“

Auf eines konnten sich jedoch alle Beteiligten einigen: Der Angriffskrieg Putins ist durch keinen Legitimierungsversuch Putins rechtzufertigen. Es gilt, die Betroffenen zu unterstützen. Ob „nur“ mit Hilfsgütern oder auch mit Waffen, sei laut Bernhard Stengele eine Frage, die es auch für Grüne weiter zu klären gilt.