„Ein Leben in Sicherheit und Frieden – das muss unser Ziel für die jesidische Gemeinschaft sein!“

„Liebe jesidischen Mitbürger und Mitbürgerinnen,

das Leid das ihrem Volk widerfuhr ist so erdrückend und herzzerreißend, dass es mir schwer fällt die richtigen Worte zu finden.

Jesid*innen haben im August 2014 unerträgliches Leid erfahren. Nach Angaben der UN wurden 5000 bis 10.000 Jesid*innen ermordet und über 7000 jesidische Frauen und Kinder (meistens Mädchen) entführt. Jesidische Frauen und Mädchen wurden verschleppt, vergewaltigt und als Sklavinnen verkauft. Sie sind auch heute noch durch die Taten des sogenannten Islamischen Staats (IS) schwer betroffen und traumatisiert. Tausende entführte Frauen und Kinder werden immer noch vermisst.

Es wurde systematisch gemordet und vergewaltigt, getrennt nach Männern und Frauen: Die Männer wurden getötet und die Knaben als Kindersoldaten verwendet, die Frauen und Mädchen wurden in Busse verladen und ältere Frauen getötet, die übrigen in die Sklaverei verkauft und systematisch vergewaltigt und misshandelt. Die Vertreibung von Jesidinnen und Jesiden aus ihren Dörfern, der systematische Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe gegen Jesidinnen, Sklaverei und Folter – angegriffen wird hier das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, aber nicht nur dieses Menschenrecht, sondern alle Menschenrechte wurden damit angegriffen.

Denn Menschenrechte sind unteilbar. Wenn die Freiheit zum Glauben angetastet wird, dann wird ja auch immer die Würde des Menschen angegriffen. Ein Begriff wie „Teufelsanbeter“ birgt soviel Gewalt und Verachtung, dass wir niemanden gegen seinen Willen dorthin zurückschicken dürfen. Die Situation im Irak ist viel zu explosiv, um Aussagen über Gefährdungen machen zu können.

Deshalb müssen wir alle als Bürger*innen, als Abgeordnete der Parlamente in Bund und Land und unabhängig davon ob und welchen Glauben wir haben oder wie wir zum Glauben stehen mit Nachdruck für die Religionsfreiheit weltweit einstehen und Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, unbedingten Schutz bieten.

Deshalb ist es gut und ein wichtiges Zeichen, dass der Bundestag den den Völkermordes an den Jesid*innen anerkannt hat. Das ist für die jesidische Gemeinschaft ein wichtiger Schritt in Hinblick auf Anerkennung der Gräueltaten. Darüber hinaus muss eine zukünftige Anerkennung auch das Fundament einer weiteren intensiven Aufarbeitung, Unterstützung und Hilfeleistung für die jesidische Gemeinschaft sein.

Die Unterstützung, die in einem neuen Gesetz im Irak, das in die richtige Richtung geht, angeboten wird reicht nicht aus, um den Jesiden im Irak eine sichere Heimat zu bieten. Nötig ist dafür vielmehr eine Verständigung und Versöhnung zwischen den Jesiden und jenen Muslimen, die den sogenannten IS unterstützt haben. Noch aber bestehen zahlreiche negative Einstellungen gegenüber Jesid*innen fort. Die Mehrheit der irakischen Bevölkerung sieht Jesid*innen als Ungläubige an. Aus diesem Grund fühlen die Jesid*innen sich grundsätzlich nicht sicher, und das aus gutem Grund. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, wird die nächste extremistische Gruppe die Jesid*innen angreifen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

Es ist eindeutig unser Auftrag, dass wir alles dafür unternehmen müssen, dass dieser Völkermord juristisch in seiner Systematik weiter aufgearbeitet wird.

Ein Leben in Sicherheit und Frieden – das muss unser Ziel für die jesidische Gemeinschaft sein. Bis dahin muss Europa und muss Deutschland großzügig und unbürokratisch sein in der Anerkennung von jesidischen Geflüchteten. Deshalb bitte ich unseren Migrationsminister Dirk Adams sich für ein sofortiges unbedingtes Bleiberecht stark zu machen.

Liebe Jesidinnen und Jesiden, sie haben die Solidarität und die Unterstützung unserer Fraktion und Partei.“

Redebeitrag von Landessprecher Bernhard Stengele
(3. August 2022, Gedenkveranstaltung anlässlich des Völkermords an den Jesid*innen, Erfurt)