Zum Sonnenaufgang auf dem Brocken

Und das machen wir jetzt wirklich? Nach und nach setzte in allen Köpfen die Realisation ein. Nach zwei intensiven Tagen auf der Landesdelegiertenkonferenz in Leinefelde sollte es in der Nacht zum Sonntag auf den Brocken gehen – zur traditionellen Wanderung zur Sommersonnenwende des Kreisverbandes Nordhausen. Der Blick in die Gesichter verriet, niemand wusste die Idee zwischen Genie und Wahnsinn einzuordnen, diese beiden Veranstaltungen auf dasselbe Wochenende zu legen. Allen Zweifeln zum Trotz fuhr das Auto von Leinefelde los in Richtung Oderbrück, wo wir verweilen wollten, bis es dann spät nachts losgehen sollte. Während wir zu Beginn der Fahrt noch über den Parteitag redeten, erblickten wir schon bald ein wüstes, karges Panorama, wo einst der Harz grün und lebendig war. So weit das Auge reichte sahen wir tote Fichten, die Dürren und der Borkenkäfer zurückgelassen hatten. Der Parteitag rückte schnell in den Hintergrund und spätestens jetzt wich die Erschöpfung der letzten Tage der Neugier auf das was kommen sollte.

Nachdem wir uns gestärkt hatten, machten wir uns um halb drei auf den Weg zu einem Wanderparkplatz, an dem wir uns mit Rüdiger Neitzke, dem Initiator des jährlichen Spektakels aus dem KV Nordhausen und vielen weiteren Grünen-Mitgliedern und Freund*innen aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen trafen, darunter auch unser stellvertretender Bundesvorsitzender Heiko Knopf und in diesem Jahr auch Vertreter*innen der SPD.

Als wir uns um drei Uhr in Gang setzten, schien der Mond so hell, dass unsere Stirnlampen nicht gebraucht wurden. Erhellt wurde unsere Wanderung auch durch spannende Geschichten über den verspäteten Mauerfall auf dem Brocken, der damals einen Abhörposten der DDR in den Westen beherbergte. Die Geschichten vom 3. Dezember 1989, dem Tag, als Menschen aus alles Richtungen und angrenzenden Bundesländern auf den Brocken wanderten und das sowjetische Militär am Ende abzog, konnte das jüngere Publikum begeistern. Insgesamt herrschte stets ein reger Austausch in der Gruppe – für die Uhrzeit war der ganze Tross überraschend rege und munter.

Oben auf dem Brocken, wurde die letzte Müdigkeit durch einen konstant turbulenten Wind aus unseren Köpfen geweht. Die Sonne ging zwar nur unspektakulär hinter einem diesigen Wolkenfilm auf, dennoch waren alle eine ganze Weile von der Kombination aus Aussicht, Wind und der Geschichte des Ortes in den Bann gezogen. Nach genügend Blick in die Ferne, einer sehr schweren Suche nach Windkraftanlagen und einer kleinen Stärkung, nahmen wir auf dem Runterweg im Hellen unsere Umwelt gänzlich anders wahr. Die unzähligen toten Fichten erinnerten an einen riesigen Friedhof. Später kamen wir an einem wertvollen und seltenen Hochmoor vorbei. Das, was wir schützen wollen und das, was wir nicht schützen konnten lag unglaublich nah beieinander. Um kurz vor 7 Uhr morgens, als unser Gipfelsturm endete, wussten nach geschichtlichen Eindrücken, dem hautnahen, massiven Waldsterben und aktuellen politischen Diskussionen viele erst einmal nicht wohin mit sich. Zu Hause angekommen war es dann auf einmal doch viel klarer: Ab ins Bett!

Ein Bericht von David Bald