Zur Sache: Geflüchtete als Waffe? Was passiert an der belarusisch-polnischen Grenze?

Landessprecher Bernhard Stengele fasst im folgenden Beitrag die Diskussion von 12. November aus der Veranstaltungsreihe „Zur Sache“ mit Viola von Cramon und Interessierten zur Situation an der berlarusisch-polnischen Grenze zusammen:

Politisch klug handeln, heisst menschlich handeln. 

Seit Monaten sind mehrere tausend Geflüchtete und Migrant*innen im belarusisch-polnischen Grenzstreifen gefangen. Sie harren bei Minus-Temperaturen aus und hoffen, in die EU zu gelangen. Gelockt von Versprechen staatlicher belarusischer Agencies werden sie vor Ort zynisch als Waffe in hybrider Kriegsführung missbraucht. Im Spätsommer haben Polen und auch Litauen für die Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt. Sie lassen nicht zu, dass die Menschen Asylanträge stellen können. Obwohl Medien, aber auch humanitäre Organisationen, dort keinen Zutritt mehr haben, häufen sich Berichte über illegale Pushbacks. Derweil warnen NGOs vor einer drohenden Gewalteskalation und humanitären Katastrophe. Die ersten Todesopfer, die mutmaßlich an Unterkühlung und Erschöpfung gestorben sind, wurden bereits im September im Grenzstreifen gefunden.

Die Frage, wie man auf diese ungeheurliche Provokation von Seiten Lukaschenkos, der gestützt wird von Putin, reagiert, wird international und in Deutschland natürlich intensiv diskutiert. 

Klar ist, dass Lukaschenko die EU vorführen will. Sein Ziel ist die Aufhebung der nach der Entführung der Ryanair-Maschine verhängten EU-Sanktionen. Putin unterstützt Lukaschenko in seinem  Ziel die EU zu Verhandlungen zu zwingen.

Polen auf der anderen Seite liegt ohnehin in vielen Feldern quer zum vertraglich vereinbarten Wertekanon und hat nun Gelegenheit von den Konflikten mit der EU abzulenken, die sie im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen kommen könnten. Sie erklärt die Grenzregion zur Sperrzone, verweigert die freie Berichterstattung und die Zusammenarbeit mit der EU. 

In Deutschland, das im Moment politisch in Koalitionsverhandlungen gefangen ist, gibt es keine eindeutige Haltung, wie man diese Krise beenden kann. Die Angst durch Hilfe einen Pull Effekt auszulösen, also einen andauernden Flüchtlingsstrom auszulösen, kann allerdings zerstreut werden. Belarus ist keine Fluchtroute, die ohne gezielte Beförderung funktionieren würde. Gezielte wirksame Sanktionen gegen Fluglinien, die Geflüchtete in das Krisengebiet bringen, zeigen Wirkung. Weitere Sanktionen werden ebenso wirksam werden. Aufklärung in den sozialen Medien, die der perfiden Anwerbestrategie den Boden entziehen, können ebenfalls helfen.

Die Anzahl der Geflüchteten ist in absoluten Zahlen nicht hoch genug um bestehende Systeme in der EU oder in Deutschland in Bedrängnis zu bringen.

Wichtig vor allem ist eine Aufnahme der Menschen in Polen oder in anderen EU-Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Das ist der richtige Weg, diese Notlage angemessen zu bewältigen. Es ist das, wofür die EU steht und wie sie Lukaschenko und Putin gleichzeitig zeigen können, dass eine vernünftige, wertebasierte Politik diesen zynischen, menschenverachtenden Spielen überlegen ist. 

Klar wird aber ein weiteres Mal, dass nur ein funktionierendes Asylsystem der EU solche Erpressungsversuche dauerhaft austrocknen kann. Klar wird auch, dass Deutschland unter der neuen Regierung dringend eine moderne Einwanderungspolitik formulieren muss, um Menschen eine Perspektive zu geben, die konkret und planbar ist.

Jetzt und konkret ist es auch strategisch klug den Menschen aus ihrem furchtbaren Elend schnell heraus zu helfen. Politische Klugheit und selbstverständliche Menschlichkeit stehen nicht im Widerspruch.“