Energiewende jetzt! Was in Thüringen geht

Rückblick auf den Digitalen Feierabend vom 19. Oktober 2022

„Warum tun wir nicht was wir wissen?“ Mit diesen Worten eröffnete unser Landessprecher Bernhard Stengele den digitalen Feierabend. Eigentlich wissen wir alles über die Klimakrise, was getan werden müsste, wie ihr zu begegnen sei. Wir wissen auch, dass Teil der Antwort auf die Klimakrise die Energiewende sein muss.

Wie man mit Menschen reden könne, so dass diese „nicht die Decke über den Kopf ziehen“, zu erklären was geht und wie es funktioniert, das sei der Hauptberuf von Ramona Rothe (Leiterin der Servicestelle Windenergie der ThEGA). An diesem Abend war sie zusammen mit Frank Schindler (Projektleiter der Servicestelle Windenergie) und Franziska Brantner (grüne Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) eine der Referent*innen der Diskussion.

Windenergie, so erklärte Ramona Rothe, polarisiere momentan stark. Wären wir auf dem Weg wie vor zehn Jahren geblieben, so hätten wir heute bessere Chancen was die Versorgungssicherheit angehe. In Thüringen seien, Stand von Ende 2021, 844 Windenergieanlagen errichtet, welche eine Leistung von etwa 1.694 Megawatt erbringen würden. Der derzeitige Ausbau entspreche dabei etwa 0,38 % der rechtskräftig ausgewiesenen Thüringer Regionsfläche. Laut dem Klimagesetz von 2018 wäre eigentlich ein Prozent angestrebt gewesen.

Eine neue Schwierigkeit stellten die Beschlüsse des „Osterpakets“ des Bundes dar. Mit dem darin enthaltenen Gesetz zur „Windenergie an Land“ ist vorgesehen, zwei Prozent der Bundesfläche bis 2032 für Windenergie auszuweisen. Für Thüringen bedeutet das konkret, bis 2027 ca. 1,8 % der Regionsfläche als ausgewiesene Windenergiefläche bereit zu stellen, bis 2032 sollen es dann 2,2 % sein.

Das sei eine riesige Herausforderung, die durch die Frage der Einbeziehung des Waldes nicht gerade erleichtert würde. Das „Wind-im-Wald-Gesetz“ verbietet in Thüringen die Errichtung von Windenergieanlagen im Wald, was in Teilen Thüringens zu Problemen für das Erreichen der Ziele führen könnte. Die Windenergieausweisung in Thüringen erfolge über vier regionale Planungsgemeinschaften. Und während es für Nordthüringen oder Mittelthüringen beinahe unerheblich wäre, ob im Wald Windenergieanlagen gebaut werden dürften, da dieser dort kaum vorhanden sei, kämen Südwest-und Ostthüringen kaum auf die angestrebte Fläche ohne den Wald mit einzubeziehen.

Bundesweit seien in Deutschland etwa 28.230 Windenergieanlagen vorhanden, was einer Leistung von 55.000 Megawatt entspreche. Mit den Vorgaben des „Osterpakets“ müsste allerdings ein jährlicher Zubau dieser Leistung von 10 Gigawatt erfolgen, um 2035 eine Leistung von 100-110 Gigawatt verzeichnen zu können. Um das zu erreichen, seien jährlich vier Ausschreibungsrunden vorgesehen und die Größenbegrenzung für Pilotwindanlagen sollen aufgehoben werden.

Für Bürger*innen sollen einige Hindernisse wegfallen. So solle es in Zukunft möglich sein, Windenergieanlagen bis zu einer Leistung von 18 Megawatt auch ohne Ausschreibung mit erteilter Genehmigung zum Bau zu bringen. Außerdem sei im Gesetz zur „Windenergie an Land“ der Ausbau der erneuerbaren Energien als Anliegen des überragenden öffentlichen Interesse und als Beitrag zur öffentlichen Sicherheit gesetzlich verankert, was die Dinge, so Ramona Rothe, vermutlich erleichtern werde. So erklärte sie, mussten Projektierungsunternehmen vor dem Bau eines Windparks deutlich machen, warum ein Windpark die Sicht von einem Denkmal nicht stören würde. Das werde sich ändern. In Zukunft solle der Denkmalschutz erklären müssen, warum ein Windpark besagte Sicht störe.

Ein weiteres Thema welches den Ausbau der Windenergie lange Zeit ausgebremst habe, sei die Frage des Drehfunkfeuer und des Wetterradars gewesen. Im Zuge des „Sommerpakets“ des Bundes sollen die Anlagenschutzbereiche von 15 km auf 6-7 km verkleinert werden, womit auch mehr Fläche zur Verfügung stehen würde. Dazu trage auch bei, dass man künftig in der Flächenplanung vom Mittelpunkt des Masts ausgehen werde, nicht mehr von den Rotoren der Windenergieanlage. Im Bundeskabinett sei außerdem die Aufhebung der Länderöffnungsklausel beschlossen worden, um weitere Länderabstandsregelungen zu verhindern. Zudem solle die Ausschlusswirkung von Windplangebieten entfallen, sofern nicht zwei Prozent der Fläche zur Ausweisung stehen könnten. Auch Genehmigungen sollen künftig schneller erteilt werden.

Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene stünde man damit also vor einigen Herausforderungen. So müssten theoretisch an jedem Werktag 25 Megawatt Windenergie installiert werden, um die Ausbauziele zu erreichen. Hinzu käme, dass Genehmigungen derzeit rückläufig seien und zuständige Behörden oftmals unterbesetzt.

Dem Erreichen der im Gesetz zur „Windenergie an Land“  festgeschriebenen Ziele stünden schlicht auch die Flächenverfügbarkeit im Wege. Zwei der vier Regionalpläne in Thüringen seien noch aus 2012, die anderen hätten momentan keine Rechtssicherheit, dort könne also momentan nicht gebaut werden. Wobei es durch den Wegfall von Windenergieanlagen im Wald auch kaum Zuwachs an Flächen gebe.

Derzeit werde auch an der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms in Thüringen gearbeitet. Künftig solle so auch über Regelungen des Programms ermöglicht werden, dass Kommunen über „bauleitnerische Sondergebiete Windenergie“ Anlagen zu errichten, hier seien allerdings noch nicht alle Fragen geklärt.

„Nach 15 Jahren Windenergie in Thüringen ist es eigentlich eine Katastrophe, wie es momentan aussieht.“

In Zukunft müsse im Sinne der Akzeptanz stärker kommunal beteiligt werden, so brauche es beispielsweise für die Kommunen einen höheren finanziellen Nutzen, da seien 0,2 Cent pro Kilowattstunde für die Gemeinde zu gering. Wie Bernhard Stengele ergänzte, Windenergieanlagen würden viel schöner, wenn man an ihnen verdiene.

Die Daseinsvorsorge, welche kommunale Windräder für Gemeinden bieten könnten, könnten ebenfalls einen Anreiz darstellen. Derzeit sei das allerdings in Thüringen oft nicht möglich. Denn: etwa 2.404 Personenhaushalte könnten mit einem solchen Windrad mit Strom versorgt werden. Wenn ein Ort aber beispielsweise nur 600 Einwohner habe, dann würde die Kommune zum Exporteur von Energie werden. Sie dürfe aber eigentlich nur zur Eigenversorgung Strom erzeugen.

Trotzdem sei die informelle Beteiligung von Bürger*innen der Anfang von allem. So plädierte Ramona Rothe, dass man nicht müde werden dürfe, für die Wertschöpfung vor Ort  zu werben, die Windenergieanlagen bieten würden. Man müsse den Menschen das Gefühl geben, das man mit Windenergieanlagen vor Ort etwas schaffe, wovon jeder etwas habe. Dazu könnten auch  kluge Ausgleichs-und Ersatzmaßnahmen beitragen. Diese müssten im Zuge jedes Eingriffs in die Natur, der eine solche Berührung  wie es eine Windenergieanlage habe, vorgenommen werden. Das könne alles mögliche sein, etwa die Renaturierung eines Flusses, wie Ramona Rothe von einem vergangenem Projekt berichtete.

Besonders die Bedeutung von Eigenversorgung für Unternehmen aus Industrie- und Gewerbe sei nicht zu unterschätzen, man habe noch nie einen solchen Zulauf wie im letzten halben Jahr beobachten können, was Industrie-und Gewerbestandorte angehe. Frank Schindler (Projektleiter der Servicestelle Windenergie) erklärte, die aktuelle Situation mache es für Unternehmen extrem erforderlich, an erneuerbare Energien zu kommen.

Es bestehe also ein Bedarf an Fläche die nutzbar für Windenergieanlagen wäre. Gleichzeitig komme es vermehrt zu Kalamitätsflächen in Thüringen, welche Waldeigentümer wirtschaftlich gefährden. Eine mögliche Lösung wäre also Windenergienutzung auf Kalamitätsflächen. So erklärte Frank Schindler, die Forstverteilung könne sich gut mit der Windenergie ergänzen, oft sei der Forst in größeren Abständen zur Siedlung und liege meist in einer Region in der viel Wind wehe.

Im Dezember 2020 wurde allerdings beschlossen, dass die Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen nicht zulässig sei. Ein Satz, der in Thüringen sämtliche Windenergienutzung im Wald (bzw. in der als Wald ausgewiesenen Fläche) ausgeschlossen habe.

Wobei der Forst sich vom klassischem Wald eben durch seine Nutzcharakter unterscheide und auch bei der Errichtung von Windenergieanlagen im Wald Ausgleichs-und Ersatzmaßnahmen vorgenommen werden müssten, die dem Wald zugute kommen könnten, etwa eine Aufforstung.  Davon würden auch Waldbesitzer profitieren.  

Trotz allen Vorteilen seien Windenergieanlagen im Forst noch ein stark emotionales Thema und Anlass für Proteste. Eine Evaluierung des Waldgesetzes solle allerdings noch in diesem Jahr erfolgen, ohne den Wald seien die Flächenziele kaum zu schaffen, besonders Nord-und Mittelthüringen müssten massiv Flächen zur Verfügung stellen um das ausgleichen zu können.

Bis 2040 wolle man in Thüringen vollständig auf erneuerbare Energien setzen, wovon wir momentan leider weit entfernt seien. Das Ziel einer energetischen Autarkie sei unter den besten Bedingungen ein ehrgeiziges. Wie Bernhard Stengele erklärte, befänden wir uns gerade nicht in den besten Bedingungen.

Alles eine Frage der politischen Rahmenbedingungen. Diese seien allerdings auch nicht erst in den letzten vier Jahren entstanden – man habe seit 15 Jahren Windenergie in Thüringen.

Zusammengefasst, so Ramona Rothe, brauche man vor allem rechtssichere Regionalpläne. Ohne diese könnten beispielsweise Unternehmen nicht beginnen zu bauen, weil sie warten müssten, bis der Raumordnungsplan verabschiedet wurde. Die Raumordnung stelle fest, wo gebaut werden dürfe. Wenn allerdings mehr Platz gebraucht werde, müsse ein Genehmigungsprozess für ein Zielabweichungsverfahren eingeleitet werden, was viel Zeit in Anspruch nehme.

Abgesehen von gesetzlichen Vorgaben könnten Windenergieanlagen im besten Falle erst nach drei Jahren gestellt werden. Frank Schindler erklärte, es brauche eine einjährige Untersuchung der Umgebung. Parallel dazu müsse ein Genehmigungsverfahren beginnen, was in Zukunft zwar schneller laufen solle, aber dann bliebe immer noch die Problematik der verzögerten Lieferzeiten von einem bis zwei Jahren verschiedener Bauteile, von denen auch Windenergieanlagen nicht verschont blieben. Selbst unter den besten Bedingungen, schon mit erheblichen Beschleunigungen in Verfahren seien Neuerrichtungen von Windenergieanlagen nicht in unter drei Jahren möglich.

Umso wichtiger, argumentierte Bernhard Stengele, dass man weiter geduldig, freundlich aber dringlich überall weiter für die Energiewende eintrete. Wenn die Leute dabei nicht mitgehen würden, dann könnten wir es nicht schaffen. Politisch sei das zwar alles verhandelbar,  mit der Natur sei allerdings nicht zu verhandeln. Das habe man an dem trockenen Sommer gesehen, an der Situation im Ahrtal.  

Eine Frage die auch im Zusammenhang der Energiewende in den letzten Monaten stark diskutiert wurde, ist die der Laufzeit der Atomkraftwerke. Sagenhaft, so beschrieb Bernhard Stengele, habe man auf der Bundesdelegiertenkonferenz gerungen, nur um 36 Stunden später feststellen zu können, dass man doch etwas eher in den Feierabend hätte gehen können. Es wurde ja doch alles anders.

So veranschaulichte Franziska Brantner wie man seit Monaten darum gerungen habe, wie man am besten durch diesen Winter kommen könnte, wie man durch diverse Stresstests die Möglichkeit von Blackouts festgestellt habe und wie das Weiterlaufen der existierenden Atomkraftwerke einen Beitrag leisten könnten, das zu verhindern. So habe man sich ja als Grüne dann geeinigt, Brennstäbe ausbrennen zu lassen. Die FDP hingegen habe um die Frage gerungen, neue Brennstäbe zu kaufen und die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen bis 2023/2024. Obwohl die meisten Brennstäbe etwa sieben Jahre laufen würden, was, wie Franziska Brantner erklärte, vermutlich zu einer verlängerten Laufzeit geführt hätte. Mit allen Kosten die an Reparaturen und Instandhaltung hingen.

Eine Einigung auf den Streckbetrieb war nicht möglich gewesen und so habe sich der Kanzler mit einem wichtigen politischem Signal entsprechend positioniert. Auch wenn der Entschluss nicht der gewünschten Position entspreche, so habe man als Grüne doch mehr „gewonnen“ als die FDP. Etwa dass keine neuen Brennelemente angeschafft würden, das Energieeffizienzgesetz, den Kohleausstieg 2030. Wie Franziska Brantner formulierte, sei man als Grüne nicht gut darin das zu feiern was man gewonnen habe, vielleicht könne es aber nicht schaden, das mehr zu tun.

Positiv festzuhalten sei im allgemeinen, dass die Debatte mit dem Entschluss beendet sei und man sich jetzt anderen politischen Punkten widmen könne.

Die Menschen erwarten, dass man sich ihren Problemen annehme – das müsse man jetzt auch tun.

Und wie Ramona Rothe es ausdrückte:

„Es gibt nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden. Es gibt nicht genug zu wollen, man muss auch tun!“


Weiterführende Informationen zum Download:

Präsentation zum Digitalen Feierabend (PDF) – allgemein

Präsentation zum Digitalen Feierabend (PDF) – Windnutzung und Wald