Einfach trans sein? Über Selbstbestimmung und ihre Hürden

Rückblick auf den digitalen Feierabend vom 26. Oktober 2022

Für die meisten von uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der eigene Name in den persönlichen Dokumenten stimmt. Und wenn sich doch einmal ein Fehler in einem amtlichen Dokument eingeschlichen haben sollte, so braucht es meist ein bis zwei Anrufe, um diesen korrigieren zu lassen. Aber für einige von uns ist das nicht so leicht wie es sein sollte.

Bei unserem digitalen Feierabend zum Thema „Einfach trans sein?“ diskutierten Theresa Ertel (LSBTIQ* Koordinierungsstelle Thüringen), Tessa Ganserer (Bundestagsabgeordnete), Luis Schäfer (Landesvorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen) und unserer Landesvorsitzenden Ann-Sophie Bohm über Missverständnisse, bürokratische Hürden und die reellen Gefahren denen transgeschlechtliche Menschen immer noch ausgesetzt sind.

In Thüringen, so erklärte Theresa Ertel, habe man geschätzt, dass es etwa 13.000 transgeschlechtliche Menschen geben könnte. Wobei diese Schätzungen nicht genau sein könne. Zwar würde erhoben wie viele Menschen eine Personenstandsänderung vollziehen würden, das würden aber nicht alle tun. Viele würden sich aus Angst gar nicht trauen sich zu outen. Obwohl im Moment viele ehrenamtliche Strukturen für queere Menschen „wie Pilze aus dem Boden schießen“ würden, gebe es noch viel Angst vor Queerfeindlichkeit. Und diese würde genau die treffen, die sichtbar queer seien – oft transgeschlechtliche Menschen. Als Koordinierungsstelle, so erklärte Theresa Ertel, sei man an der Umsetzung des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt beteiligt, um queeren Menschen, kurzgefasst, das Leben zu erleichtern. Dafür bedürfe es aber noch viel Strukturveränderung.

Tessa Ganserer berichtete von einem kleinen Lichtblick, den der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition in dieser Hinsicht biete. Etwa die Einsetzung Sven Lehmanns als ersten Queer-Beauftragten der Bundesregierung oder den geplanten Ersatz des Transsexuellengesetzes mit dem Selbstbestimmungsgesetz. Damit trete die Bundesregierung für die Rechte aller Menschen ein, mit einem einfachen, unbürokratischen Verfahren zur amtlichen Personenstandsänderung ohne Zwangsbegutachtung um eine falsche Geschlechtszuordnung korrigieren zu können.

Die Personenstandsänderung sei momentan für transgeschlechtliche Menschen mit einem enormen finanziellen Aufwand von etwa 1000-2000 Euro verbunden, wie Luis Schäfer berichtete. Wie viele andere sähe auch er nicht ein, Geld zu bezahlen, damit der Name auf dem Personalausweis oder Geburtsurkunde stimme. Ebenfalls mit der Änderung verbunden sei eine Zwangsbegutachtung, man müsse durch Beantwortung teilweise respektloser Fragen durch Psychotherapeut*innen „beweisen“, dass man wirklich dem Geschlecht angehöre, zu welchem man sich zuordne. Um bestimmte Operationen genehmigt zu bekommen, müsse man außerdem einen „Trans-Lebenslauf“ schreiben. Obwohl sich selbst die Psychotherapeutenkammer gegen dieses Verfahren in einer Resolution geäußert habe, da kein Mensch das Geschlecht eines anderen diagnostizieren könne.

Nach einer Personenstandsänderung dürften staatliche Stellen über Transgeschlechtlichkeit einer Person keine Auskunft geben. Das sei aber nicht strafrechtsbewehrt, so würden sich einige Stellen nicht an das Verbot halten und Personen seien weiterhin Diskriminierung ausgesetzt, so berichtete Tessa Ganserer. Auch durch Geburtsurkunden der Kinder von transgeschlechtlichen Menschen, welche nach der Personenstandsänderung nicht korrigiert würden, sei man regelrecht zum Outing gezwungen, wenn man sich als legitimes Elternteil ausweisen wolle.

Das solle sich mit dem Eintreten des Selbstbestimmungsgesetz ändern, aber damit sei leider noch nicht alles erreicht – Diskriminierung ziehe sich wie ein roter Faden durch das Leben einer transgeschlechtlichen Person. Akzeptanz müsse immer vorgelebt werden und auch eingefordert werden. So werde gerade auf Bundesebene ein Aktionsplan zur Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Zusammenarbeit mit der Community und auch ressortübergreifend erstellt.

Im Plan solle systematisch festgelegt werden, mit welchen Maßnahmen, in welchen Bereichen Akzeptanz gefördert werden könne. Dort, wo fehlende Akzeptanz in Benachteiligung, Diskriminierung oder Hasskriminalität umschlage, müsse sich der Rechtsstaat schützend vor die Betroffenen stellen und denen zu ihrem Recht verhelfen. Im Zuge dessen sollen unter anderem auch das allgemeine Gleichstellungsgesetz novelliert werden, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit mehr Finanzmitteln ausgestattet werden und das Strafgesetzbuch angepasst werden, um queer- und transfeindliche Gewalt konsequenter verfolgen zu können.

Allgemein, da waren sich die Referent*innen einig, brauche es mehr Wissen um das Thema in der Bevölkerung für mehr Akzeptanz. Dafür müsste geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Allgemeinbildung und auch in medizinischen Ausbildungen verankert werden. Den Informationsbedarf, so erklärte Theresa Ertel, könne nicht nicht allein durch Projektarbeit abgedeckt werden – schon jetzt würden Beratungsanfragen das Angebot übersteigen, man müsse Projekte und Veranstaltungen regelmäßig ablehnen. Zudem habe man keine Planungssicherheit, man müsse regelmäßig um die Finanzierung fürchten, womit man benötigte Fachkräfte verliere. So ergänzte Tessa Ganserer, man werde solche Beratungsstellen sicherlich noch lange brauchen, man müsse aber von Projektförderung zu institutioneller Förderung kommen.

Nächstes Jahr um diese Zeit werde Deutschland gemerkt haben, dass sich für 99 % der Gesellschaft durch das Selbstbestimmungsgesetz nichts geändert habe, wie es auch in Belgien oder Dänemark nicht zum „Untergang des Abendlandes“ geführt habe, erklärte Tessa Ganserer. Die Aufgabe der gesellschaftlichen Akzeptanz werde uns allerdings auch über die Legislaturperiode hinaus beschäftigen. So erklärte Luis Schäfer, das werde die größte Hürde bleiben. Dabei mache den Referent*innen aber besonders in Thüringen die junge Generation Hoffnung für die Zukunft.