Gesundheitssystem besser für Pandemien wappnen

Die Corona-Pandemie belastet alle und zieht Änderungen für den Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) nach sich – sowohl nach personellen als auch qualitativen Aspekten. Dazu hat die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Gesundheit und Soziales bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen in Abstimmung mit Babett Pfefferlein, der gesundheitspolitischen Sprecherin in der grünen Landtagsfraktion, ein Positionspapier zu Zustand, Schaltstellen und Maßnahmen der Gesundheitspolitik erarbeitet.


Gesundheitspolitische Positionen der LAG Gesundheit und Soziales bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen, Mai 2020

Warum wurde dieses Papier entwickelt?

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen will eine konkrete politische Positionierung und Perspektiven entwickeln, damit wir alle im Kampf gegen Covid19 oder andere Pandemiezuständen besser gewappnet sind. Auch der Öffentliche Gesundheitsdienst steht dabei im Fokus.

Die Corona-Pandemie belastet uns alle. Sie hat unter anderem offengelegt, welche Schnitt- und Schaltstellen in den letzten Jahren bei den gesundheitspolitischen Weichenstellungen nicht ausreichend beachtet wurden. Dies betrifft sowohl personelle als auch qualitative Aspekte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Am Umgang mit der Pandemie ist zu sehen, dass einige Kommunen große Probleme z. B. bei der Nachverfolgung von Infektionsketten haben, während andere wiederum als bundesweite Musterschüler gelten. Sicherlich spielt auch eine Rolle, wo sich das Virus durch zufällige Häufungen schneller ausbreiten konnte und wo nicht, aber tatsächliche Hilferufe nach mehr Personal kommen nur aus wenigen Kommunen. Die Nachverfolgung der Infektionsketten und der Kontaktpersonen sowie die Ausstattung des ÖGD mit Personal wird vom RKI und der Bundesregierung als ein Schlüsselmoment in der Gesamtbekämpfung des Corona-Virus bzw. für dessen Eindämmung gesehen.

Thüringen war auf eine Pandemie – trotz Pandemieplan und vielen Bekundungen von allen Seiten, den Öffentlichen Gesundheitsdienst nachhaltig stärken zu wollen – nicht gut vorbereitet.

Dies lässt sich auch für andere Bundesländer sagen. Das Dogma der kommunalen Selbstverwaltung und einer damit einhergehenden Vernachlässigung der Themen Prävention, Gesundheitsvorsorge und öffentlicher Gesundheitsdienst zeigt jetzt zum Teil sehr große Unterschiede in der Bewältigung dieser Krise. Hier sei beispielsweise nur der Landkreis Greiz genannt.

Die gesellschaftliche Belastung in Krisenzeiten kann und muss durch eine bessere Aufstellung und Mindeststandards für den Öffentlichen Gesundheitsdienst gemildert werden. Der ÖGD wurde jahrelang faktisch kaputtgespart und litt auch unter der fehlenden Attraktivität des Berufsfeldes. Fachkundiges medizinisches Personal fand andere attraktivere Arbeitsfelder. 

Die politische Schuldfrage zu stellen ist müßig und derzeit nicht weiterführend. Es muss um eine grundlegende Verbesserung eines Versorgungssystems gehen, die nur gemeinsam und über demokratische Parteigrenzen hinweg mit einem qualitativen Blick zu erreichen ist.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss Schaltstelle zur Prävention und zum Bevölkerungsschutz werden!

Der Öffentliche Gesundheitsdienst wird in Thüringen durch die Kommunen mit einer veralteten Verordnung rechtlich koordiniert. Die Kommunen erfüllen die darin definierten Aufgaben nach besten Wissen und Gewissen und nach der jeweiligen Finanzkraft und dem zur Verfügung stehenden Personal. Es braucht dringend eine stärkere Abstimmung und eine koordinierte Einigung zwischen Land und Kommunen, welche Aufgaben des ÖGD wie und mit welchen Mitteln gewährleistet werden sollen.

Dafür muss in Thüringen umgehend ein Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst entwickelt werden. Darin sind folgende Punkte zu klären:

  • Personal und Sachmittel im ÖGD müssen langfristig und nachhaltig ausgebaut werden.
  • Ein ständiger Krisenstab von Land und Kommunen zum Bevölkerungsschutz und zur Prävention muss eingerichtet bleiben.
  • Die AGETHUR und Landesgesundheitskonferenz müssen in die Planungen vor Ort eingebunden werden.
  • Mittel für Kommunen müssen auch außerhalb des KFAG zur Verfügung gestellt werden.
  • Die Kontrollmöglichkeiten des Landes müssen erweitert werden.
  • Dem ÖGD müssen in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen als Kontrollinstanz mehr Rechte eingeräumt werden.
  • Hygienebedingungen müssen ausführlich für alle Arten von Einrichtungen beschrieben werden – Seife, Wasser, Reinigung (analog Arbeitsschutz – Hygieneschutz).
  • Gesundheits- und Hygieneerziehung ist in allen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen zu etablieren.
  • Der ÖGD braucht eine ausreichende Personalausstattung mit angemessener Bezahlung.
  • Die psychosoziale Versorgung insbesondere von Kindern und Jugendlichen muss ebenso stärker in den Fokus genommen werden wie die Aufklärung und Maßnahmen zur gesunden Ernährung verschiedener Bevölkerungsgruppen.
  • Die sektorenübergreifende Arbeit, insbesondere zu den niedergelassenen Ärzt*innen, Psychotherapeuten und Hebammen muss zuverlässig erfolgen.

Ziel ist die Stärkung der Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Der ÖGD muss so ausgestattet und organisiert werden, dass er präventiv, gemeinwohlorientiert, multiprofessionell und frei von kommerziellen Interessen arbeiten kann. 

Um in der derzeitigen (wohl noch länger andauernden) und in künftigen ähnlichen Krisen reagieren zu können, sind folgende Maßnahmen notwendig:

  • Pandemiepläne müssen aktuell gehalten, für alle Einrichtungen verpflichtend sein und kontrolliert werden.
  • Der ÖGD muss in Kooperation mit dem Land Kontrollfunktionen für die oben genannten Aufgabenausüben.
  • Der ÖGD muss in Kooperation mit dem Land Musterpläne für alle Einrichtungsbereiche bereitstellen.
  • Ein Ausbau von ständigen Testkapazitäten ist vorzunehmen.
  • Interdisziplinäre Forschung und Beratung (psycholog., soziale, med. und wirtschaftl. Aspekte) muss unterstützt werden.
  • Erträgliche und effiziente Schutz- und Isolationskonzepte für Risikogruppen sind zu gewährleisten, wobei die Betroffenen trotzdem am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können sollen.
  • Persönliche Schutzausrüstung (PSA) muss in ganz Thüringen für alle systemrelevanten Bereiche ausreichend vorgehalten werden. 
  • Langfristige Finanzierungspläne für Träger (z. B. Pflegeheime, Jugendhilfe) und Land sind zu aktualisieren.
  • Die Produktion von qualitativ hochwertiger PSA muss in ausreichender Menge regional (innerhalb Europas) sichergestellt werden.

LAG Gesundheit und Soziales, Mai 2020


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